Blinde und sehbehinderte Menschen stehen beim Shopping vor besonderen Herausforderungen. Einige Aachener Geschäfte haben sich darauf eingestellt.

Aachen. Hose und Bluse müssen passen. In der Größe, aber auch zueinander. Ein adäquates Ensemble im Kaufhaus zu finden, ist je nach Talent keine Raketenwissenschaft. Zumindest, so lange man sieht, was man anprobiert. Ein unbedingter Vorteil, auf den Antje Detmers seit ihrer Geburt verzichten muss. Sie ist blind und steht deshalb beim Einkaufen – nicht nur, wenn es um Kleidung geht – vor großen Herausforderungen. In Aachen, sagt sie und sagen ihre Kollegen vom Blinden- und Sehbehindertenverein der Städteregion Aachen, könne man als blinder oder sehbehinderter Mensch aber durchaus gut zurechtkommen.

„Kommen Sie zurecht, oder soll meine Kollegin Ihnen beim Anprobieren der Hose behilflich sein? Nicht, dass Sie sich an den Nadeln pieksen …“ Das Angebot von Michel Plarinos, der im Kaufhof Aachen in seinem Arbeitsalltag für die Haushaltswaren zuständig ist, wird freundlich abgelehnt. Alltag ist die Einkaufsbegleitung für blinde Menschen nicht – dazu verlangt zu selten jemand nach dem Service. Das Angebot immerhin steht. Wenn er, wie an diesem Tag Frau Detmers, einem blinden Menschen beim Einkaufen behilflich ist, dann weiß Plarinos genau, wie er sich am besten verhält und was beachtet werden muss. „Wenn es zum Beispiel auf eine Rolltreppe zugeht, hebe ich den Ellenbogen der Person, die ich begleite, ganz leicht an. Dann weiß die- oder derjenige automatisch, dass es nach oben geht.“ Um Kniffe wie diesen zu lernen, hat er einen Kurs besucht, gemeinsam mit sechs seiner Kollegen. So ist sichergestellt, dass ein geschulter Mitarbeiter bereitsteht, wenn ein blinder oder sehbehinderter Mensch sich für einen Einkauf ankündigt. Detmers hat zwar auch eine Führhündin. Steffi, so ihr Name, würde die Dame auch sicher durch Geschäfte leiten. „Das würde sie mir aber übel nehmen.“ Ausgedehnte Shoppingtouren mag Steffi nämlich gar nicht, erzählt Detmers. Insofern ist ein Service wie der des Kaufhofs doppelt wertvoll für Detmers. Aber auch in anderen Geschäften können sie und Menschen mit ähnlicher Behinderung auf Hilfe zählen.

Nicht nur Sehbehinderungen

In Aachen haben sich etliche Läden auf den Besuch von Kunden mit Handicap eingestellt. „Und von denen gibt es viele verschiedene“, sagt Jörg Hamel. Der Geschäftsführer des Handelsverbands Aachen-Düren-Köln zählt nicht nur blinde oder sehbehinderte Menschen zu diesem Kundenkreis, sondern auch solche mit Bewegungseinschränkungen. Das müssen nicht immer körperliche Behinderungen sein, es könne sich auch um eine Mutter mit Kinderwagen handeln.

Der Handelsverband habe seinerseits extra ein Zertifikat geschaffen, um Händler zu kennzeichnen, die sich bemühen, Schwellen beim Einkaufen niedrig zu halten. Wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, können sie ihren Kunden mit dem Label signalisieren, dass in ihrem Geschäft „Generationenfreundliches Einkaufen“ möglich ist. Zu diesen Voraussetzungen gehört etwa, den Zugang zum Geschäft barrierearm zu gestalten, den Laden gut auszuleuchten, rutschfeste Böden zu verwenden, auf breite und nicht verstellte Gänge zu achten oder auf gut lesbare Preise und Auszeichnungen. Wer das Zertifikat möchte, muss sich alle drei Jahre auf Einhaltung der Kriterien hin überprüfen lassen.

Gute Erfahrungen mit hilfsbereitem Personal haben Herbert Sorge (1. Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins), Bernd Neuefeind (2. Vorsitzender) oder Antje Detmers etwa in bestimmten Aachener Filialen von Drogerie- und Discounterketten gemacht. Wie viele und welche Läden in Aachen derzeit das Label „Generationenfreundliches Einkaufen“ führen, steht auf der Internetseite www.generationenfreundliches-einkaufen.de. In Aachen führen derzeit etwa auch ein Schuhladen und ein Möbelmarkt das Label.

„Links sind jetzt die Handtaschen, rechts gehen wir an der Hut-Abteilung vorbei“, beschreibt Michel Plarinos Frau Detmers, die er am Arm durch das Kaufhaus begleitet, ihre Umgebung. Der junge Mann, sehr freundlich, achtet zum Beispiel auf die richtige Größe der vorgeschlagenen Klamotten. Nötig, weiß Detmers: „Meinen Hund kann ich noch nicht fragen, welche Größe eine Bluse oder eine Hose haben.“ Auf Verlangen sagt Plarinos außerdem seine Meinung dazu, ob etwas auch abseits der Größe passt.

Einprägen hilft nicht

So toll der Service in verschiedenen Geschäften ist: „Die Welt besteht nicht nur aus Blinden“, sagt Antje Detmers. Da müsse man als blinder Mensch schon auch verstehen, wenn etwas nicht optimal laufe oder nicht auf Menschen ohne Sehkraft ausgerichtet sei. Und selbstverständlich gebe es auch dafür zahlreiche Beispiele. Die meide sie dann aber einfach. Ob Detmers, Sorge oder Neuefeind – sie alle haben ihre Stamm-Läden, von denen sie wissen: „Dort kann ich Hilfe bekommen, wenn ich danach frage.“ Und in denen kaufen sie dann in der Regel ein. Denn auf Hilfe seien sie nicht selten angewiesen, weil in Geschäften naturgemäß öfter mal umgeräumt werde. Sich einfach einzuprägen, wo sich welches Produkt befinde, helfe auf Dauer also nicht. Und dann würden auch technische Hilfsmittel nichts mehr nützen, derer sie sich im Alltag sonst aber gerne bedienten – ob Strichcodescanner mit Sprachausgabe oder Geldscheinlese-App.

Den Service im Kaufhof öfter in Anspruch zu nehmen, kann Detmers sich nach dieser ersten Erfahrung gut vorstellen. „Ich hatte Spaß und ich komme bestimmt wieder“, steckt sie ihrem Einkaufsbegleiter Plarinos. Ihre tierische Helferin könnte Detmers dann zu Hause lassen. Und das, meint Detmers, würde sicher auch Führhündin Steffi gefallen.

Infos zum Verein und
zur Einkaufsbegleitung

Der Blinden- und Sehbehindertenverein der Städteregion Aachen existiert als Selbsthilfegruppe bereits seit 1907.

Die Mitglieder (derzeit 92) kümmern sich unter anderem um die Beratung von Blinden und Sehbehinderten in sozialen und beruflichen Angelegenheiten, um Vermittlung von Angeboten zur Integration in die Gesellschaft und in das Berufsleben, Mobilität, die Beschaffung von Kommunikationsmöglichkeiten und blindengerechten Hilfsmitteln oder die Zusammenarbeit mit den Kommunen in Behindertenbeiräten und Arbeitsgemeinschaften.

Informationen zur Arbeit oder zu einer Mitgliedschaft gibt es unter ☏ 02402/9744693 oder per E-Mail an bsv.staedteregion@t-online.de.

Wer die Einkaufsbegleitung für sehbehinderte und blinde Menschen im Kaufhof nutzen möchte, kann sich per Telefon unter
☏ 0241/4767-0 anmelden.

„Meinen Hund kann ich noch nicht fragen, welche Größe eine Bluse oder eine Hose haben.“

Antje Detmers

Quelle: Von Thomas Vogel; 19.04.2017 / Aachener Nachrichten – Stadt / Seite 13 / Lokales Aachen